Wing Chun (chinesisch 詠春 / 咏春, Pinyin yǒng chūn, kantonesisch wing chun ‚Ode an den Frühling’) ist ein vermutlich im frühen neunzehnten Jahrhundert entstandener (süd-) chinesischer Kampfkunststil (im Westen oft als Kung Fu bezeichnet). Der Name der Kampfkunst stammt aus dem Kantonesischen, deswegen gibt es keine eindeutige Romanisierung des Begriffes. Aus markenrechtlichen Gründen und um sich von anderen Schulen und Verbänden abzugrenzen (siehe weiter unten), sind zahlreiche Schreibweisen gebräuchlich, so z. B. Wing Tsun (W.T.), Wyng Tjun, Ving Tsun (V.T.), Wing Tzun, Wing Chung, Wing Shun, Wing Tsung, Wing Tsjun, Wing Tjuen, Ving Chun (VC), Wing Do, Dynamic Ving Tshun (DVT), aber auch gänzlich andere Namen, wie z. B. Taonamics. In Pinyin, dem offiziell verwendeten Umschriftsystem des Hochchinesischen (Mandarin), werden die Schriftzeichen als Yǒngchūn transkribiert.  

Geschichte

Entstehung von Wing Chun

Zu der Entstehungsgeschichte des Wing Chun existieren verschiedene Überlieferungen. Inwieweit diese den Tatsachen entsprechen, kann aufgrund fehlender wissenschaftlicher Belege nicht mehr überprüft werden. Entwickelt wurde es über Hunderte von Jahren und hat angeblich seine Wurzeln im berühmten Shaolin-Kloster. Dabei wird von einem südlichen Shaolin-Kloster berichtet, welches im Gegensatz zum nördlichen Shaolin-Kloster heute nicht mehr besteht. In einer weit verbreiteten Version der Entstehungsgeschichte wird beschrieben, dass die Nonne Ng Mui (chinesisch 吴梅, Pinyin Wú Méi) versuchte, ein Kampfsystem für körperlich Unterlegene zu entwickeln, das mit der kraftvollen Shaolin-Kampfkunst der Mönche konkurrieren konnte. Ihr Wissen gab sie an ein Mädchen namens Yim Wing Chun (chinesisch 嚴詠春 / 严咏春, Pinyin Yán Yǒngchūn) weiter, das sich gegen einen lokal ansässigen Kämpfer zur Wehr setzen musste, der sie immer wieder bedrängte. Die andere Version der Entstehungsgeschichte besagt, dass sich einige sehr gute Kämpfer im alten China in einem Kloster in der „Halle des immerwährenden Frühlings” (chinesisch 永春堂, Pinyin Yǒngchūn Táng) trafen und dort zusammen diesen Stil entwickelten. Unumstritten ist jedoch die Tatsache, dass sich alle Wing-Chun-Stile in irgendeiner Form auf die rote Dschunke (chinesisch 红船, Pinyin hóng chuán), eine Operntruppe, beziehen. So lernten viele historisch nachweisbare Personen, die in der Entwicklung des Wing Chun eine Rolle spielten wie zum Beispiel Leung Jan (chinesisch 梁赞, Pinyin Liáng Zàn), von Schauspielern der Roten Dschunke. Die frühesten schriftlichen Aufzeichnungen datieren aus dem Jahr 1854 und werden durch Schriftforschungen des Foshan-Museums und der Chin Woo Athletics Association of Foshan belegt.[1] Das moderne/populäre Wing Chun mit seinen charakteristischen sechs Formen und der Chi-Sao-Übung der „rollenden Hände” Poon Sao geht aktuellen Erkenntnissen nach[2] auf die Studien des Lehrerkreises um Yuen Kay Shan (chinesisch 阮奇山, Pinyin Ruǎn Qíshān) und Yip Man (chinesisch 叶问, Pinyin Yè Wèn) zurück. Ebenso wie das moderne Karate ist Wing Chun in seiner heutigen Ausprägung somit streng genommen erst dem 20. Jahrhundert zuzuordnen. Die in Deutschland häufig anzutreffende Altersangabe mit ca. 300 Jahren ist in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in Hongkong entstanden und hatte eher politische Gründe, da eine chinesische Kampfkunst älter sein musste als eine japanische (hier war insbesondere das Karate gemeint).

Legende von der Shaolin-Nonne und ihrer Schülerin Yim Wing Chun

Gemäß mündlicher Überlieferung waren während der Qing-Dynastie (1644-1911) die Shaolinmönche aufgrund ihrer Kampfkunst derart berühmt, dass sich der damalige Kaiser Kangxi Sorgen um seinen Einfluss machte und beschloss, die Mönche zu töten und das (südliche) Shaolinkloster zu vernichten. Dies misslang, da die Mönche starken Widerstand leisteten. Der Beamte Chan Man Wai wollte sich einen Namen verschaffen und schmiedete einen Plan, für den er sich u. a. mit Ma Ning Yee verschwor, welcher das Kloster von innen heraus in Brand setzte. Dabei kamen die meisten Klosterbewohner ums Leben. Die buddhistische Meisterin Ng Mui (chinesisch 吳梅, Pinyin Wú Méi), der Abt des Klosters Meister Chi Sin (chinesisch 至善禅师, Pinyin Zhì Shàn chánshī) mit den meisten Schülern, Meister Pak Mei (chinesisch 白眉道人, Pinyin Bái Méi dàorén), Meister Fung To Tak (chinesisch 冯道德, Pinyin Féng Dàodé) und Meister Miu Hin (chinesisch 苗显, Pinyin Miáoxiǎn) konnten entkommen. Sie waren die Führer der fünf Shaolin-Stile und wurden die „Fünf Älteren” genannt.
Die Authentizität dieser Überlieferung ist umstritten. Kangxi war eher ein Unterstützer zumindest des nördlichen Shaolinklosters, wie eine über dessen Eingang angebrachte Kalligrafie noch heute belegt. Nach der Zerstörung des Klosters trennten sich die Überlebenden, um der Mandschu-Regierung leichter zu entkommen. Meister Chi Sim nahm eine Tarnidentität als Koch auf einer „Roten Dschunke” an. So wurden Transportschiffe einer Operntruppe bezeichnet, die üblicherweise mit roter Farbe gestrichen und bunten Fahnen geschmückt waren. Die Nonne Ng Mui dagegen ließ sich im Weißer-Kranich-Tempel (chinesisch 白鹤观, Pinyin Báihè Guān) am Tai-Leung-Berg (chinesisch 大凉山, Pinyin Dàliáng Shān) nieder, wo sie sich der Kampfkunst und dem Chan widmen konnte. Am Marktplatz eines nahen Dorfes lernte Ng Mui ein junges Mädchen namens Yim Wing Chun (chinesisch 严咏春, Pinyin Yán Yǒngchūn) und deren Vater Yim Yee kennen, welche dort Tofu verkauften.
Die beiden waren aus ihrer Heimat in der Provinz Guangdong geflüchtet, da Yim Yee in eine Gerichtssache verwickelt war (man sagt, unschuldig), die ihn das Leben hätte kosten können. Als Schüler des Shaolin-Klosters hatte er einige Kampftechniken erlernt und sorgte in seiner Gegend für Gerechtigkeit. Die resultierenden Schwierigkeiten zwangen ihn, seine Heimat zu verlassen und sich am Tai-Leung-Berg niederzulassen. Der Legende nach hat die Kampfkunst dem Mädchen Yim Wing Chun seinen Namen zu verdanken. Die heranwachsende Yim Wing Chun zog den im Ort als einen notorischen Schläger bekannten Wong derart an, dass er um ihre Hand anhielt. Doch sie war schon als kleines Kind Leung Bok Chau (chinesisch 梁博俦, Pinyin Liáng Bóchóu), einem Salzkaufmann aus Fujian, versprochen worden. Wong schickte einen Boten, setzte Yim Wing Chun eine Frist und drohte, Gewalt anzuwenden, falls sie sich ihm verweigerte. Vater und Tochter lebten von nun an in großer Sorge, da niemand im Dorf Wong, dem Kampfkünstler und Mitglied einer Geheimgesellschaft, gewachsen war. Ng Mui erkannte als regelmäßige Kundin Yim Yees, dass die beiden von Sorgen gequält wurden.
Schließlich erzählte Yim Yee von Wong. Ng Mui beschloss, Yim Wing Chun zu helfen, wollte den Bösewicht aber nicht selbst bestrafen, da sie ihre Tarnidentität nicht aufgeben wollte und ein Kampf zwischen ihr, der Meisterin aus dem Shaolin-Kloster, und einem Dorfschläger unfair und ruhmlos gewesen wäre. Deshalb brachte sie Yim Wing Chun ihre neue Kampfkunst bei. Nach nur drei Jahren Privatunterricht hatte diese das neue Kampfsystem gemeistert. Ng Mui schickte sie nach der Ausbildung im Weißer-Kranich-Tempel zurück zu ihrem Vater. Sofort wurde Yim Wing Chun wieder von Wong bedrängt, doch dieses Mal forderte sie ihn zum Kampf auf. Der Rowdy war sich seines Sieges sicher, sollte sich aber getäuscht haben, denn Yim Wing Chun schlug ihn zu Boden. Nachdem Yim Wing Chun den Schläger besiegt hatte, setzte sie ihr Training fort. Als Ng Mui beschloss, weiterzureisen, ermahnte sie Yim Wing Chun, einen würdigen Nachfolger zu finden und nur die richtigen Schüler zu unterweisen. Diese Mahnung wurde auch von den folgenden Generationen befolgt. Die Geschichte der Yim Wing Chun wurde 1994 mit Michelle Yeoh (Wing Chun) und 2010 mit Bai Jing (Kung Fu Wing Chun), die eine Schülerin von Yip Mans ältestem Sohn Ip Chun war, verfilmt.  

Neuere Geschichte

Die meisten heute bekannten Varianten des Wing Chun gehen auf den Kampfkünstler Yip Man (1893–1972) zurück. Er hatte im Laufe seines Lebens in Hongkong zahlreiche Schüler (u. a. Bruce Lee). Einen direkten Nachfolger ernannte Yip Man nicht, da er sich selbst nicht als Stilerbe sehen konnte. Dieser Umstand hatte zur Folge, dass ein ungenau formulierter Zeitungsartikel Leung Ting (chinesisch 梁挺, Pinyin Liáng Tǐng) zum Oberhaupt der Yip-Man-Familie ernannte. Die heftigen Reaktionen älterer Yip-Man-Schüler wurden, obwohl Leung Ting umgehend auf die Richtigstellung dieser Falschmeldung drängte, später im Allgemeinen als Nachfolger-Streit bezeichnet. Yip Man erlernte die bis dahin kaum bekannte Kampfkunst Wing Chun von Chan Wah Shun (chinesisch 陳華順 / 陈华顺, Pinyin Chén Huáshùn) in der Stadt Lin Fa Dei. Spätere Lehrer Yip Mans waren Chans Schüler Ng Jung Su (chinesisch 吳仲素 / 吴仲素, Pinyin Wú Zhòngsù) und ein Sohn von Chans Lehrer mit Namen Leung Bik (chinesisch 梁壁, Pinyin Liáng Bì). Die Person des Leung Bik ist jedoch umstritten. Einige Quellen geben Leung Bik als eine Erfindung des Yip-Man-Schülers und zeitweilig als Reporter tätigen Lee Man an.  

Stilrichtungen

Die bekanntesten Wing-Chun-Stilrichtungen sind:

  1. Yip Man Stil
  2. Yuen Kay Shan Stil
  3. Yiu Choi/Yiu Kay Stil
  4. Pan Nam Stil

Zu den weniger bekannten Stilen sind zu zählen:

  1. Pao Fa Lien Stil
  2. Yuen Chai Wan (Nguyen Te-Cong) Stil
  3. Yip Kin Stil

Des Weiteren gibt es noch verschiedene Unter- oder Hybridstile dieser Stilrichtungen. Die umfangreichsten Dokumentation liegen derzeit zum Ip Man Stil und dem Pan Nam Stil vor.  

Prinzip und Technik

Prinzipien

Die hier aufgeführten Prinzipien (Kuen Kuits) stellen eine kleine, beispielhafte Auswahl dar, wie sie in unterschiedlichen Wing-Chun-Stilen vorkommen können. Die Prinzipien variieren von Stil zu Stil mitunter sehr stark. Aus dem WingTsun beispielsweise sind nachstehende Prinzipien bekannt. Die 4 Kampfprinzipien:

  • Ist der Weg frei, stoße vor.
  • Ist der Weg versperrt, bleibe kleben.
  • Ist der Gegner zu stark, gib nach.
  • Zieht sich der Gegner zurück, folge ihm.

Die 4 Kraftprinzipien:

  • Mach dich frei von deiner eigenen Kraft.
  • Mach dich frei von der Kraft deines Gegners.
  • Nutze die Kraft des Gegners.
  • Füge deine eigene Kraft hinzu.

Techniken

Ein typisches Element einiger Wing-Chun-Stile ist der Kettenfauststoß. Ein geübter Wing-Chun-Kämpfer kann bis zu 8 Schläge pro Sekunde ausführen. Im Wing Chun wird besonders auf die saubere Struktur des Schlages geachtet, um auch bei geringer Körperkraft wuchtvoll angreifen zu können. Dazu gehört z. B., dass ein Schlag theoretisch durch den getroffenen Körperteil hindurch geht. Je nach angegriffenem Körperteil und Intention des Kämpfers werden Fauststöße, Fingerstiche, Handkantenschläge oder Hammerfäuste bei Schlägen eingesetzt. Effektives Wing Chun erreicht seine Stärke jedoch nur durch fließende und gesamtheitliche Durchführung des Kampfstils, womit daher einzelne Schläge oder Schlagtechniken nicht von übergeordneter Bedeutung sind. Die Kraft des Gegners wird durch Schritttechniken, wie Wendungen, neutralisiert und gegen ihn verwendet (Gleichzeitigkeit von Angriff und Abwehr): Der Angriff ist die Verteidigung. Ein Schlag des Gegners wird so beispielsweise durch einen konternden Gegenschlag abgewehrt. Der Stil ist weiterhin durch seine Trittarbeit charakterisiert, die nur sehr wenige Grundtritte umfasst und mit der im Allgemeinen nur niedrige Ziele bis etwa zur Höhe der Hüfte angegriffen werden. Ziele dieser Tritte sind insbesondere Kniegelenk, Oberschenkelansatz und Unterleib des Gegners. Bei manchen Techniken jedoch ist der Bauch des Gegners, Ziel des Angriffs.  

Waffen

Doppelmesser
Wing Chun war der Legende nach ursprünglich eine Kampfkunst ohne Waffen. Im frühen 19. Jahrhundert erweiterten Wong Wah Bo (Schüler von Leung Bok Chow, dem Ehemann der Stilgründerin Yim Wing Chun) und Leung Yee Tai (Schüler des auf der Roten Dschunke untergetauchten Shaolin-Mönchs Chi Sim) den Kung-Fu-Stil um zwei Waffenformen: Langstock (Luk Dim Boon Kwun)
Doppelmesser (Baat Jam Do / Dao)
Die Übungen und Formen wurden den Prinzipien des Wing Chun angepasst. Historische Dokumente hierzu sind nicht überliefert. Wong Wah Bo wird in vielen anderen Entstehungslegenden anderer Stile (z. B. Hung Kuen) erwähnt. Seine Existenz ist weder belegt noch widerlegt. Er spielt in nahezu allen Wing-Chun-Legenden eine Schlüsselrolle.  

Formen

Die ersten Grundlagen des Wing Chun werden zumeist in kurzen (San Sao) oder langen Formen erlernt und geübt. Formen sind festgelegte Abfolgen von Techniken, die jeder Schüler alleine durchführt. Die Formen des Wing Chun sind (wie auch die japanischen “Kata” oder die Koreanischen “Hyeong”) wie ein „Notizbuch” zur Vermittlung von Theorien und Techniken zu verstehen und nicht als ein ritualisierter Kampf gegen imaginäre Gegner. Reihenfolge, Anzahl und Art der Formen ist in den verschiedenen Wing Chun Familien oftmals sehr unterschiedlich. In einigen Wing-Chun-Familien werden weniger als die nachstehend aufgeführten sechs bekanntesten Formen praktiziert, in anderen werden mehr oder gänzlich andere Formen unterrichtet. Die bekanntesten Formen sind: Trainingsgerät Muk Yan Jong

  • Siu nim tau / Siu Lim Tao (chinesisch 小念头, Pinyin xiǎo niàntou, „kleine Idee”, manchmal auch: Saam-Pai-Fut – „Dreimalige Verehrung” oder „Gruß Buddhas” – genannt): Es werden die grundlegenden Armtechniken isoliert für sich oder in einfachen Kombinationen geübt. Beintechniken kommen hier in Form des stabilen Standes vor. Ein wichtiger Aspekt dieser Form ist die Haltung und das Verhältnis von Spannung und Entspannung. Weiterhin werden Grundprinzipien des Wing Chun geschult, wie zum Beispiel die „Zentrallinientheorie”, Krafterzeugung und richtige Atmung.[3] So enthält diese Form acht Sätze.
  • Chum Kiu / Cham Kiu (chinesisch 寻桥, Pinyin xún qiáo, „Suchende Arme” / „eine Brücke bauen”): Basistechniken mit ersten Fußtechniken. Hier werden verschiedene Techniken in Kombinationen geübt, insbesondere das Zusammenspiel von beiden Armen, Beintechniken und Schritttechniken.
  • Bju Tse / Biu Tze (chinesisch 标指, Pinyin biāo zhǐ, „Stoßende Finger”): Bisweilen als Notfall-Form bezeichnet, in der Techniken erlernt werden, um aus ungünstigen Kampfpositionen in aussichtsreiche zurückzugelangen.
  • Mok Jan Chong / Muk Yan Jong (chinesisch 木人桩法, Pinyin mùrénzhuāng fǎ, „Holzpuppe”): Dient als Ersatz für einen Trainingspartner und zum intensitätsorientierten Training. Bewegungen werden hier einstudiert und Fehler beseitigt.
  • Luk Dim Bun Guan / Luk Dim Ban Kwun (chinesisch 六点半棍法, Pinyin liù diǎn bàn gùn fǎ, „Langstock”)
  • Pa Cham Dao / Bart Cham Dao (chinesisch 八斩刀, Pinyin bā zhǎn dāo, „Doppelkurzschwerter”, „Doppelmesser” oder „Schmetterlingsmesser”)

Chi Sao

Ein wesentlicher Bestandteil der meisten Wing-Chun-Stile ist das Chi Sao, welches auf die unterschiedlichsten Arten praktiziert werden kann.

Organisationsstruktur

Familiäre Struktur im Südchina der Vergangenheit

Im alten China wurde das Wing Chun in einem „familiären” Charakter jeweils von Lehrer zu Schüler weitergegeben. Der Lehrer, der die persönliche Verantwortung für die gesamte Ausbildung der Schüler hatte, wurde als „Vater-Lehrer” (Shifu) angesehen. Der Unterricht fand gegen Bezahlung oft im Wohnhaus des Lehrers statt, eine persönliche Bindung zwischen Lehrer und Schüler, mit bestimmten gegenseitigen Verpflichtungen, war die Regel. In Hongkong wurden die ersten öffentlichen Schulen gegründet. Seitdem nahm der Unterricht im Wing Chun stärker einen kommerziellen und „modernen” Charakter an. In einigen Schulen wurde das familiäre System jedoch gewahrt. Lo Man Kam, der Neffe Yip Mans, unterrichtet noch heute seine Schüler in seinem Wohnhaus in Taibei. Langjährige Schüler werden dort heute noch durch den Shifu in der traditionellen Weise durch eine Teezeremonie (Bai Si Lai) in den inneren Kreis der Wing-Chun-Familie aufgenommen. Diese Zeremonie unterstreicht die tiefe persönliche Bindung, die durch das lange Training zwischen Meister und Schüler entstanden ist. Verbandsstruktur im heutigen Europa[Bearbeiten]
Es gibt in Europa keinen einheitlichen Dachverband, unter dem die Wing-Chun-Praktizierenden zusammengefasst sind, sondern zahlreiche, zum Teil miteinander konkurrierende und zerstrittene Verbände, Schulen und Einzellehrer. Die meisten Verbände treten dabei nicht in der Rechtsform der Vereine auf, die sich freiwillig zu einem Verband zusammengeschlossen haben, sondern als kommerzielle Organisationen, in denen assoziierte Schulen eingegliedert sind, welche vom Verband autorisiert und zertifiziert werden. Manche der Verbände sind in einem Franchise-System organisiert. In einigen Verbänden werden in Anlehnung an das früher übliche Familiensystem Gehorsam und Verpflichtungen gegenüber dem Lehrer (Shifu) und dessen Lehrern (Si-Gung, Si-Jo) betont, obwohl diese nur noch selten direkt an der Ausbildung ihrer Schüler beteiligt sind.

Wahrnehmung in den deutschsprachigen Ländern

Aufgrund der hohen Medienpräsenz des EWTO (Leung Ting) WingTsun und des Wong Shun Leung (Philipp Bayer) Ving Tsun, verbinden Interessierte leicht das Wing Chun in Deutschland, Österreich und der Schweiz lediglich mit diesen beiden großen Zweigen des Ip Man Wing Chun. In den deutschsprachigen Foren wird zudem oft versucht, aus wirtschaftlichen Gründen den Eindruck zu erwecken, dass alle Wing-Chun-Schulen in Deutschland ehemals zur EWTO gehörten bzw. von ehemaligen EWTO Angehörigen geleitet werden. Häufig herrscht Unkenntnis darüber, dass in Deutschland bereits seit Mitte der 1970’er Jahre z.B. auch das Wing Chun der Yip-Man/Chu-Shong-Tin-Linie unterrichtet wird. Ebenso sind weitere Schulen/Lehrer, welche niemals eine Verbindung zur EWTO hatten, in Deutschland vertreten. Die Yip-Man-Wing-Chun-Linie ist in Deutschland z. B. auch durch die Linien nach Yip Chun, Lok Yiu, Wong Shun Leung (nicht durch Philipp Bayer) und Lo Man Kam vertreten. Linien anderer Wing-Chun-Stilrichtungen wie Yuen Kay Shan werden nur selten öffentlich unterrichtet, sind aber auch in sehr geringer Anzahl in Deutschland ansässig. Das Lee Shing Wing Chun, ein eng mit der Yip-Man-Linie verwandter Wing-Chun-Stil, findet in der Schweiz große Verbreitung. Auch bei den mit dem EWTO (Leung Ting) WingTsun verwandten Schulen ist inzwischen eine Generation in Erscheinung getreten, deren Lehrer zwar bei ehemaligen EWTO-Angehörigen Unterricht erhielten, sie selbst aber niemals Mitglied der EWTO waren. Aufgrund der vergleichsweise – unter allen aktuell in Deutschland praktizierten Kampfsportarten – äußererst geringen Publikationsdichte des Wing Tsun wird dieser von der nicht unmittelbar interessierten Bevölkerung nicht wahrgenommen. Durch den sportpolitischen und ökonomischen Wirrwarr schadet sich der Wing-Tsun-Betrieb selbst und scheint eine zunehmende Bedeutungsgewinnung nachhaltig zu blockieren.

Der Konflikt um die Schreibweise

Da es für die kantonesische Sprache bislang keine einheitlichen, überall anerkannten Transkriptionsregeln zur Übertragung in die lateinische Schrift gibt, existieren zahlreiche Schreibweisen für die Kampfkunst Wing Chun, die sich aber in der Regel phonetisch sehr ähnlich sind. Dieses Problem wurde vor allem in jüngster Zeit noch dadurch verstärkt, dass Wing Chun durch zunehmende Popularität immer intensiver kommerziell verwertet wurde und einige Schreibweisen in manchen Ländern als Warenzeichen angemeldet wurden. Die Schreibweise Ving Tsun wird international häufig als übergreifende Bezeichnung aller auf Großmeister Yip Man zurückgehenden Stile benutzt. In Europa hat sich allerdings Wing Chun als übergreifende Bezeichnung weitgehend durchgesetzt. In Deutschland werden heutzutage zahlreiche Namensvarianten verwendet, wie sie auch am Anfang des Artikels zu finden sind. Im direkten Umfeld Yip Mans wurden die folgenden Schreibweisen geprägt: Ving Tsun (VT) wurde von Yip Man selbst verwendet. Hintergrund für diese Namenswahl war vermutlich das „V” von Victory (engl. „Sieg”). Wong Shun Leung und Moy Yat übernahmen diese Schreibweise.
Wing Chun wird von Yip Mans Söhnen Yip Ching und Yip Chun und den direkten Schülern Lo Man Kam und Lok Yiu verwendet. In Europa wird Wing Chun meist als übergreifende Bezeichnung benutzt.
Wing Tsun (WT) steht für den Stil von Leung Ting.

Graduierungen

Wing Chun wurde bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ohne ein Graduierungssystem gelehrt. Über Sinn und Zweck der Graduierungen bestehen unterschiedliche Ansichten, ein einheitliches Graduierungssystem existiert nicht. Einige Schulen lehnen bis heute ein Graduierungssystem ab. Das bekannteste Graduierungssystem in Deutschland und Österreich ist das von Leung Ting zu Beginn der 1970er Jahre ersonnene System. Es umfasste ursprünglich 4 Techniker-, 4 Praktiker- und 4 Großmeistergrade. Später kamen noch 12 Schülergrade hinzu.[4][5] Die Bezeichnung Technikergrad wird in der EWTO gerade durch ‘Höherer Grad’ abgelöst.[6] Die von der EWTO vertretene Ansicht, dass die Einteilung in Schülergrade eigentlich nur außerhalb Hongkongs praktiziert wird [7], ist falsch. Nicht nur, dass die Einteilung auf der Website von Leung Ting dargestellt ist[8], es wurde im Forum der IWTA auch noch einmal betont. Die International Wushu Federation hat ihr 1998 eingeführtes Graduierungssystem im Jahr 2010 völlig überarbeitet.[9] Nun ist es auch möglich in bisher etwas benachteiligten Stilen, wie dem Wing Chun, höhere Duan-Grade zu erreichen (aufgrund der Anzahl der geforderten Formen war es in vielen Wing-Chun-Stilrichtungen nicht möglich, höhere Duan-Prüfungen abzulegen.[10]). Die Swiss Wushu Federation arbeitet bereits nach diesem Graduierungssystem und hat erste Prüfungen im Wing Chun abgenommen.[11][12][13] Da das Wing-Chun-Graduierungssystem stilübergreifend aufgebaut ist, beruht es z. B. nicht auf den o. g. bekanntesten Formen. Vielmehr handelt es sich um verschiedene, eigens für dieses Graduierungssystem zusammengestellte, Einzel- und Partnerübungen.[14]

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